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Offener Brief zum Podcast “Wie sich das Artensterben aufhalten lässt“ im „Der Standard“



Bild: pixabay.com

 

S.g. Fr. Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese,

s.g. Redaktionsteam „Der Standard“,

 

am 29. März ist bei Standard Online der Podcast mit dem Titel „Wie sich das Artensterben aufhalten lässt.“ erschienen.

 

Auf die Frage, dass die Artenvielfalt zurückgeht und was dafür die Hauptgründe sind haben Sie Fr. Dr. Böhning-Gaese auszugsweise geantwortet:

„Lt. Weltbiodiversitätsrat gibt es große Ursachen für den Verlust der Biodiversität, das sind die sog. Big Five: Auf Platz Eins ist der Landnutzungswandel d.h. die vordringende Landwirtschaft, die frisst sich in den Tropen, in den tropischen Wäldern in den Savannen in Feuchtgebiete oder bei uns in Europa, in Deutschland, in Österreich ist es die super intensive Landwirtschaft, die Monokulturen, die Schädlingsbekämpfungsmittel etc. Graslandökosysteme sind verschwunden. Die Tiere, wie Kühe und Rinder werden im Stall gehalten und nicht mehr auf der Weide, Hecken sind verschwunden! Mit unglaublich viel Geld wird Fleisch günstiger gemacht, wo wir eigentlich genau das Gegenteil bräuchten sprich umweltschädliche Agrarsubvention wären ein Hebel, wo man dieses Geld besser für Naturschutz einsetzen könnte als für die Schädigung der Natur!“

Mit dieser generalisierten Aussage stellen sie u.a. auch die österreichische Landwirtschaft undifferenziert als das Hauptproblem für die Artenvielfalt dar. Somit erfolgt ihrerseits unter dem Deckmantel der Wissenschaft eine pauschale Diffamierung der gesamten österreichischen Landwirte, sodass jeder landwirtschaftsferne Zuhörer ein irreführendes Bild von der Gesamtheit der österreichischen Landwirte bekommt. Angesichts dieses Generalverdachtes der Landwirte als Zerstörer der Biodiversität in Österreich fordern wir Sie höflich auf Ihre Thesen mit entsprechenden Fakten im Detail zu untermauern bzw. anderenfalls eine Gegendarstellung im Standard zu veröffentlichen.

Laut Agrarstrukturerhebung 2007 sind in Österreich rund 38% landwirtschaftlich genutzte Fläche und rund 40% fortwirtschaftlich genutzte Fläche mit Tendenz steigender Waldflächen samt Schutzwälder. Von der landwirtschaftlich genutzten Fläche sind 44% Ackerland, und 54% Grünland, wovon rund die Hälfte extensiv genutztes Grünland/Weideland vor allem in den Berggebieten ist und ein Fünftel davon sind Almflächen. In Österreich gibt es rund 25 Tsd. Mutterkuhhalter, wo 75% weniger als 10 Mutterkühe halten. Bei den rund 16 Tsd. Schafhalter stehen im Schnitt 24 Schafe im Stall und bei den rund 10 Tsd. Ziegenhalter sind es im Mittel rund 10 Ziegen/Betrieb. In Österreich wird jeder 4. Hektar biologisch bewirtschaftet inkl. Weideverpflichtung für Tierhalter. Ist das die intensive Landwirtschaft von der sie in Bezug auf Österreich in Ihrem Podcast sprechen? All diese Fakten passen nicht mit Ihren auch pauschal auf Österreich bezogenen Erzählungen hinsichtlich intensiver Landwirtschaft ohne Weidegang mit Monokultur bezüglich Artensterben zusammen! Denn laut Umweltbundesamt zählt Österreich zu den artenreichsten Ländern Mitteleuropas. Diese seit Jahrtausende durch Landwirte umsichtig entwickelten Bewirtschaftungsweisen von Almen und Weideflächen in den vielen Regionen entlang des Alpenbogens haben zu entsprechenden Naturräumen mit co-evoluierten Artenkomplexen geführt. Im Alpenraum haben wir mehr als 4.500 Gefäßpflanzen und rund 500 Arten davon kommen nur auf den Almen vor. Es gibt unzählige Tierarten, welche sich im Deckmantel der extensiven Weidetierhaltung in den Alpenregionen angesiedelt haben. Es gibt Almflächen, wo auf rund 50m² bis zu 96 Pflanzenarten gedeihen. Je höher die Anzahl von Pflanzen je höher die Anzahl an Insekten. Viele Almflächen sind Orchideenlebensräume und naturschutzfachlich besonders wertvoll. Im Klimawandel nehmen intakte Almflächen eine enorme Grünlandreserve ein. Diese Almflächen gibt es nur durch die Bewirtschaftung von Landwirten durch die Weidetierhaltung. Nur ein ausgewogenes miteinander von Wald und Offenlandflächen mit unterschiedlichsten Pflanzenarten u. Bodenzusammensetzungen ist Grundlage für eine reiche und intakte Biodiversität und nicht die von Ihnen u.a. propagierte Wildnis. In Wildnisgebieten dominieren oftmals invasive Arten und verdrängen somit eine Vielzahl an Arten. Aufgegebene Almflächen werden rasch von invasiven Arten wie zB. Grünerlen überwuchert und in dichtem Gebüsch reduziert sich massiv die Pflanzen- und Insektenvielfalt bis um 50%. Gebüsch verbrauchen um 20-25% mehr Wasser als artenreiche Blühwiesen.

In Ihrem Podcast erläutern Sie des Weiteren auch ausführlich, dass der Fleischkonsum das große Problem darstellt – siehe Vergleich 1kg Kartoffeln zu 1kg Fleisch, wobei die beiden Lebensmittel alleine schon von Ihrer Zusammensetzung und ernährungsphysiologischen Bedeutung für den Menschen nicht zu vergleichen sind. Jeder Nährstoffentzug auf Flächen durch Ernten muss im Kreislauf wieder zurückgeführt. Um Pollmer zu zitieren: Die Achillesferse des Bioanbaus ist die Tierhaltung. Im Biolandbau müssen Tiere wie Rinder, Schweine, Hühner wie früher den Nährstoffentzug durch die Ernte ausgleichen. Eine „viehlose“ biologische Wirtschaftsweise ist auf zwei Arten möglich: Brache oder Kompost aus der Ernte von anderen Flächen. Eine Dreifelderwirtschaft mit Brache braucht um 50% mehr Fläche. Deshalb haben die Biopioniere auf die Kreislaufwirtschaft mit viel Vieh gesetzt um den unverzichtbaren natürlichen Dünger zu erhalten.

Wir möchten aufgrund Ihrer Thesen ihrerseits eine faktenbasierte Erklärung, wie man in Österreich die großen Grünlandflächen im Zuge einer standortgerechten Kreislaufwirtschaft entsprechend Ihren Aussagen für Obst- und Gemüseanbau nutzbar machen soll? Bitte beachten Sie dabei auch die entsprechenden Höhenlagen der Flächen! Wie soll gemäß Ihren Ausführungen in Österreich das Grünland, meist in Steil- und Hanglagen, bei Reduktion der Weidetierhaltung, was die Reduktion des Fleischkonsums nach sich zieht, als teils artenreiches Offenland erhalten bleiben bzw. Ihren Vorstellungen gemäß Obst-/Gemüsekulturen dort angelegt werden? Wie soll der Nährstoffeintrag ohne künstlichen Dünger bei Reduktion der Viehwirtschaft gelingen ohne Ausweitung der Fläche und bei gleichzeitiger Steigerung des Selbstversorgungsgrades an Lebensmittel in Österreich? Oder gehen Sie in Ihrer These davon aus, dass wir die dadurch rückläufige Lebensmittelproduktion durch ausländische Importe ausgleichen – wie sieht dann Ihre weltweite Biodiversitätsbilanz aus?

An dieser Stelle dürfen wir abschließend noch Anita Idel zitieren: „Ohne Graser kein Gras: ohne Bison keine Prärie, ohne Gnu keine Serengeti, ohne Guanako keine Pampa etc. Heute zählt die Prärie Nordamerikas, die Pampa Südamerikas und die Steppe der Ukraine zu den weltweit besten Böden. Ihre legendäre Fruchtbarkeit wie ihren Humusgehalte verdanken diese größten Kornkammern der Wert der Co-Evolution zwischen Weidetieren und Gräsern. Eher noch größer ist die Bedeutung der Weidetiere für die nicht ackerfähigen Böden: es ist das gigantische Flächenausmaß, das die Beweidung dieser unendlichen Weiten trotz verbreiteter Trockenheit so entscheidend für die menschliche Ernährung macht – und für das Klima! Und des Weiteren in Bezug auf die Artenvielfalt ist es in Österreich unumstößliches Faktum: ohne Berglandwirtschaft und ohne Weidetierhaltung kann die einzigartige Artenvielfalt in den Alpenregionen nicht erhalten bleiben. Um die niederösterreichische Schutzgebietsbetreuung zu zitieren: „Ohne Mahd und/oder Beweidung rückt der Wald unaufhaltsam vor, der ohne positiven Einfluss des Menschen 100% der Landesfläche einnehmen würde. Das wiederum würde den Rückgang von Biodiversität bedeuten, indem die Lebensräume des Offenlandes allmählich verschwinden würden.“

Wir erwarten von der Redaktion im „Der Standard“ eine vollumfängliche Richtigstellung, da dieser unreflektierte Generalverdacht in diesem Podcast an einem Imageschaden der österreichischen Landwirtschaft beiträgt, der die gesamte Landwirtschaft in Österreich anteilsmäßig als hauptursächlich für das weltweite Artensterben von Fr. Dr. Katrin Böhning-Gaese dargestellt wird. Das Mindeste wäre gewesen, diesen Podcast als Diskussionsrunde mit mehreren österreichischen Fachleuten zu gestalten um einen ordentlichen wissenschaftlichen Diskurs zu ermöglichen. So ist es reine ideologische Indoktrination losgelassen auf eine zum großen Teil landwirtschaftsferne Hörerschaft, nach dem Motto: „Wer nichts weiß, muss alles glauben!“ So ein Vorgehen kann wohl nicht den Ansprüchen ihres sogenannten Qualitätsmedium entsprechen?

Des Weiteren erwarten wir, wie schon angeführt, eine umfassende Beantwortung unserer Fragestellung seitens Ihnen Fr. Dr. Katrin Böhning-Gaese, wie auch eine entsprechend öffentliche Richtigstellung der pauschalieren Verurteilung der österreichischen Landwirte als die Killer der Artenvielfalt Nr. Eins!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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